Begegnungen

Fritz Thomas-Gottesberg, Bildhauer:
“ ‚Ich lächle, leuchte, wandere …‘ – Der Bildhauer
Erich Elsner“, 1982  (Ausschnitte)

Auch ihm lagen Steine im Weg. Da begann er sie zu bearbeiten, zu gestalten. Und so wurden sie Kunstwerke. Das ist die einzige Möglichkeit, aus Steinen Brot zu machen.
Der Meister selbst äußert sich nur zurückhaltend über sein Schaffen und seine Werke. Er bemühe sich, so sagt er, das rein Erzählende, Berichtende, Legendäre nicht die Form überwuchern zu lassen. Er liebe halbe Verfremdungen, mache immer wieder Ausflüge in die gegenstandslose Formensprache und möchte damit ‚bekennen‘, was unter Form zu verstehen ist. Menschen gestaltet er, weil er ihnen täglich in allen Lebenslagen begegnet und sie besonders im Krieg in all ihren Freuden und Leidensfähigkeiten (oft stumm und fatalistisch) erlebt hat. …

Mit gleicher Sicherheit bearbeitet er die klassischen Werkstoffe des Bildhauers: Holz, Stein, Bronze, und er versteht sich auf die Ausführung von Mosaiken.
Erich Elsner gewann eine bemerkenswerte Reihe Wettbewerbe, und es wurden ihm zahlreiche sakrale Aufträge übertragen …

Eine reduktive, auf das Wesentliche konzentrierte Gestaltungsweise, Sammlung und Solidität kennzeichnen die Werke dieses emsig schaffenden Bildhauers. Außer seinen viel beachteten Großplastiken, den Gestaltungen am Bau, finden auch seine Kleinplastiken besonderen Anklang …

Der Bildhauer und Mensch Erich Elsner ist weder einer, der nur da ist, noch ein Herr Auchdabei, aber vielleicht würde er sich einem Wort von Klabund zuneigen: „Ich lächle, leuchte, wandere, ein Stern wie viele andere.“

Dr. Heinz Beisker, Kunsthistoriker:
„Der Bildhauer Erich Elsner“, 1974  (Ausschnitte)

Wer aus dem irgendwie „deftigen“, farbigen wie oft auch todessehnsüchtigen schlesischen Raum kommt, im hellkühlen, rationalhintergründigen Berlin der zwanziger und frühen dreißiger Jahre studiert, nach dem letzten Krieg jahrelang im bildträchtigen Bayern arbeitet, dann aber im Bannkreis des Düsseldorfer Rheines sich niederläßt, der hat im Wechsel des Lebensraumes mannigfache Einflüsse verarbeiten, ja manchmal auch überleben müssen.
Neben dem geographischen Wechsel spielt aber auch der ablaufende Strom der Zeit eine wichtige Rolle: 1911 in Neiße in Oberschlesien geboren, ist Elsner sieben Jahre alt, als der erste Weltkrieg zu Ende geht, und 22 Jahre, als entscheidende Jahre seiner künstlerischen Entwicklung – die schon frühzeitig sich beim zeichnenden Kind formulierte – durch die kulturellen Kanalisierungsbemühungen der Nationalsozialisten geprägt werden. Aber es ging noch gut bei dem jungen Künstler: Als Relikte der großen Zeit der Berliner Hochschule fand er Lehrer von der Qualität eines Wilhelm Tank und eines Paul Wynand, die in einer beginnenden Zeit des Dilettantismus akademische Präzision und handwerkliche Tüchtigkeit übermitteln konnten. …

In allen Werken aber, vor allem in den vielen Auftragsarbeiten von Kirche und Verwaltung, zeigt sich als Ureigentümliches ein immer vorhandenes und immer bewahrtes Gefühl für die formale Wirkung, die alle seine Bildwerke prägt. …

Rückschauend auf das bisher Geschaffene kann man sagen, alles … gelingt ihm zu einer Art von klassischer Beherrschtheit. Das mag am eingeborenen Gefühl für die Qualität der archaischen Form liegen, es mag aber auch seinen Grund finden im langen Aufenthalt im Bayerischen, wo er – mit soviel barockem Überschwang konfrontiert – erfuhr, was bewegtes Volumen für den Bildhauer alles sein kann, wo er aber wohl auch spürte, welche Versuchung zu überwinden war.
So haben Umwelt und vorgefundene Ordnungen Erich Elsner immer wieder zur Übereinstimmung oder zum Widerstand aufgerufen; frei von den Verführungen seines großen Talents ruft er eben dieses Talent zur Ordnung und legt ihm da Zügel an, wo die Gangart üppig zu werden droht. Alles das geschieht unter dem Primat eines gestalterischen „Grundgesetzes“, das im Vereinfachen des Komplizierten und im Ablösen des Wuchernden zum Kern des „Artefaktes“ findet:  Zu seiner inneren Wahrheit.

Dr. Heinz Beisker, Kunsthistoriker:
Manuskript zu einer Ausstellungseröffnung
im Dezember 1980 in Ratingen

„Schläft ein Lied in allen Dingen,
Die da träumen fort und fort,
Und die Welt hebt an zu singen,
Triffst du nur das Zauberwort.“

Das hat Joseph von Eichendorff einmal geschrieben, der sehr deutsche romantische Dichter aus Schlesien, dem Land der Tüchtigen, aber auch der Verträumten.
Schlesische Künstler: Sie sind oft angesiedelt zwischen katholischer Transzendenz und protestantischer poetischer Kargheit; sind es Maler oder Bildhauer, Musiker oder Dichter von einiger Bedeutung, so zeichnet sie oft ein sicheres Formgefühl für das von ihnen Machbare, für das ihnen Zugemessene aus.
Ihre menschliche und künstlerische Mentalität ist geprägt von der unruhigen und wechselvollen politischen Geschichte ihrer Heimat. An ihr hängen sie über alle Maßen, obwohl oder gerade weil das Schicksal Schlesiens meistens bestimmt wurde durch die Interessen der Mächte und deren Fürstenhäuser, zwischen denen es begehrtes Objekt war. …
Der Eichendorffsche Vierzeiler, den wir an den Anfang dieser Würdigung Erich Elsners, der heute in Ratingen bei Düsseldorf lebt und arbeitet, gesetzt haben, kennzeichnet das poetische Taktgefühl des erstaunlich kraftvollen Bildhauers, der seine Bildthematik unaufdringlich und zärtlich mit dem plastischen Leben des Bronzegusses erfüllt. Motive, die sonst leicht zur ambitiösen Feierlichkeit verführen können, haben bei Elsner eine anonyme, schlichte Kraft und Herbheit. Sie stammt aus einer weisen Reduzierung der anregenden Wirklichkeit, des Urerlebnisses, auf seine sehr persönlichen und eigenen bildnerischen Formen. Sein „Zauberwort“ – um mit Eichendorff zu reden – das die Dinge zum „Singen“ bringt, heißt Verinnerlichung und eine im besten Sinne spartanische Konzentration auf das Wesentliche. Das, was so in ihm von Anfang an als charakteristische Voraussetzung lebendig war und auf fördernde Hilfe und fachliche Anleitung in der schlesischen Provinz wartete, wird durch sinngemäße Ausbildung des schon früh zeichnenden und malenden Kindes und das spätere Studium entwickelt. Mit 10 Jahren in Neiße lebend – dem „roma silesia“, wie Martin Opitz, der große schlesische Dichter und neulateinische Humanist … es nannte – empfing der Heranwachsende dort die Grundlagen einer aufgeklärten, geistigreligiösen Weltsicht, die für sein Leben und seine Arbeit bestimmend werden sollte. Österreichische Sinnenhaftigkeit und damit das Bekenntnis zu einer disziplinierten Lebensfreude – hier in Schlesien eine alternative Variante wienerischer Lebensüppigkeit – beeinflußten seine Entwicklung ebenso, wie die tolerierende „Ordo“ Friedrichs des Preußen, die überall spürbar war (immerhin nannte ja der Gewinner der schlesischen Kriege Voltaire seinen Freund !).

Nach Werkstattlehre und Besuch der kunstgewerblichen Fachschule in Bad Warmbrunn folgte dann Mitte der dreißiger Jahre das Studium im hell-kühlen, rational-hintergründigen Berlin, an der Hochschule für bildende Künste in Charlottenburg. Dort fand er Lehrer von der Qualität eines Wilhelm Tank und eines Paul Wynand, die in der beginnenden Zeit der Nivellierung der Kunst durch den Nationalsozialismus noch akademische Präzision, Freiheit des Urteils und handwerkliche Grundlagen übermittelten. Vor allem Prof. Tank war Künstler von sehr eigenem Format und ein bedeutender Anatomielehrer der Hochschule. 

Nach dem Krieg arbeitete Elsner dann lange Jahre im bildträchtigen Bayern; später fand er dann im Raume des Düsseldorfer Rheins eine zweite Heimat. Studienreisen nach Italien, Spanien, London und Paris setzen für Elsner Akzente und geben Vergleichsmöglichkeiten, ohne seine schlesische Stabilität beeinflussen zu können und ohne ihn zu irritieren. So wurde – mit Abstand besehen – dem ebenso vehementen wie auch besinnlichen Talent des Erich Elsner eigentlich doch gute Pflege zuteil – sie gab ihm in der Ausbildung die Grundlage für eine innere Solidität, die allzu Akademisches abzustoßen in der Lage war. Diese „innere Stabilität“, eine zivile Furchtlosigkeit, die zutiefst in seinem christlichen Glauben fundamentiert war, prägten Werk und Mensch bis heute. Wahrscheinlich gab ihm diese Grundhaltung in den für einen Künstler besonders gefährlichen Zeiten die Kraft, keinen Schaden an seiner Seele zu nehmen; ein bischen Frömmigkeit im urchristlichen Sinn war wohl auch schlesisches Erbe von den Vorfahren, die allesamt Schäfer und Bauern waren. So lag das Überlebenkönnen in schlechten Zeiten sozusagen im Blut.

Aus vielen inneren Anlässen heraus hatte er bis heute die Kraft und die Freude daran, ein ganzes Bildnerleben lang immer wieder sakrale Kunst zu machen. Ihn interessierte das Thema des Andachtswerkes überhaupt, das so viele Bezüge zum alltäglichen, zum wirklichen Leben hat, einfach aus der Gegebenheit des Beispielhaften heraus für den christlichen Alltag. Und weil Elsners sakrale Bildwelt so frei vom Klischee gängiger Formvorstellungen blieb, wuchsen ihm dann vielfältig kirchliche Aufträge zu.

Von je her, aus Veranlagung und oft sehnsüchtigem Bemühen der Darstellung der menschlichen Gestalt zugewandt, ist er einer jener selten werdenden Künstler, die am Bild des Menschen – als einem Spiegel einer mit Vernunft und Empfindung erfüllten Kreatur schlechthin – innig interessiert sind – ebenso aber auch am Hinweis auf das Verbrechen am Menschen und auf seine bildnerische Gestaltung. Es ist nur natürlich, daß die Gestalt Jesu in seinem Werk eine wichtige Rolle spielt. So steht Christus als Herold einer besseren Welt in Elsners „Ecce Homo“ mit dem diagonal gehaltenen Hirtenstab, der mahnend auch Heroldsattribut ist, vor der dunklen Pforte des Todes. Es ist ein Flachrelief aus Bronze von monumentaler Einfachheit; als Modell für die Ausführung im Großen, … aber auch von gleicher Ausstrahlungskraft in seiner jetzigen Gestalt. Keine Andeutung der strafenden Macht des Jüngsten Gerichts – nur Einkehr fordernd und Einsicht. Sparsame bildnerische Mittel und die Anmut des jungen göttlichen Leibes.

Dann seine „Judith“ in der dritten Fassung  Darstellung der alttestamentarischen Legende von der jüdischen Heldin, die ihr Volk im Kampf gegen das Heer des Nebukadnezar dadurch rettet, daß sie dem ermüdeten Feldherrn, der um der Sache willen mit List ihr Liebhaber werden mußte, das Haupt abschlägt und es in der merkwürdig räumlich wirkenden Plastik Elsners als Zeichen hochhält – „seht, es ist vollbracht“. Aber ihr Gesicht ist anonym und hat jeden menschlichen Zug verloren – „was gegen die Natur ist, das ist gegen Gott“ hat Hebbel in seinem Judithdrama zur Problematik gesagt. Intakt geblieben ist der schöne lebende Leib Judiths in Elsners Bronze, aber die Seele ist nur noch Bronzematerial – eine großartige Idee – ebenso wie die Schädelform zur abstrakten Geometrie geworden ist – alles ist zur Genüge des Gesetzes geschehen.

Ebenso zum Zeichen der absoluten Hingabe an eine Aufgabe ist der „Weisende Engel“ – hier ein Vormodell zum in Lebensgröße ausgeführten Gedenkmal für den Soldatenfriedhof in Ittenbach – geworden. Das Land Nordrhein-Westfalen hatte in Zusammenarbeit mit dem Volksbund für Deutsche Kriegsgräberfürsorge als Ergebnis eines Wettbewerbs den Auftrag an Erich Elsner vergeben.

Eine heute gültige Form zu finden für die  abstrakte Welt der christlichen Kirche ist Erich Elsner gelungen – verständlich auch dem modernen Gläubigen. Ohne alle Naturalismen verharrt das Relief aus Bronze – Elsners Lieblingsmaterial – in einem irrationalen Raum, einem Zwischenreich, in dem sich ja auch die bestatteten Soldaten nach christlichem Glauben befinden. Bewundernswert die interessante Struktur der Bronzeoberfläche, denken lassend an die Schrunden und die Verletzungen des geopferten Körpers, Symbol des Leidens und der Verheißung.

Gefäß der Lebensfreude ist dagegen der zum eigenen unendlichen Spaß musizierende „Faun“. Der naivanimalische Leib ist nur dazu da, die Luft zu speichern für das süße Spiel des südlichen Mittags. Der kleine Halbteufel preist auf seine Art eine für ihn heile heidnische Welt und zwei kleine Hörnchen und ein Bocksfüßchen weisen ihn aus, als ein etwas mißratenes Engelchen der anderen Art.  Auch hier wird die ja tradierte Form des Fauns – seit der Antike bereits gebräuchlich als beliebtes Thema verschmitzter Lebensfreude arkadischer Gefilde – zum belebten Block aus Bronze, mit kantigen Konturen und ganz fern der wirklichen Welt – nur die Musik mag man wohl hören !

So, wie Elsner in seiner Hommage auf den 20. Juli 1944 ein engagierter Gestalter gegen die Niederknüppelung des Menschen durch den Menschen sein kann, so sehr ist er auch ein Meister in der visuellen Demonstration des Mütterlichen, in einer sehr zärtlichen Einfühlung in Werden und Wachsen von Mutter und Kind und in einer ebenso eigentümlich zurückhaltenden, ganz intimen und wieder völlig anonymen Darstellung eines Blickeinverständnisses zwischen Mutter und Kind in seiner Zweiergruppe „Figürliche Komposition „. Zum … nur auf das Kind konzentrierten Gesicht der Mutter drängt sich das Kinderköpfchen, man meint den Atemaustausch zu hören – eine überaus noble Geste erfüllter Mütterlichkeit. Faszinierend ist hier die bildnerische Erfindung, die, ungeachtet aller Stilisierung eines bei einer traditionellen Gestaltung oft überfrachteten Gefühlsüberschusses, den ganz auf kraftvolle Gestalt reduzierten und zur Schutzgeste geneigten Körper bei aller Geometrisierung doch lebendig atmen läßt.

Neben aller „Mitleidensinformation“, die Elsner als engagierter Künstler in seinen Bildwerken „transportiert“, zeigt sich als Ureigentümliches doch ein immer vorhandenes und bewußt gewahrtes Empfinden für die Wichtigkeit des Formalen. Diese ästhetische Bemühung macht ihn zu einem unverwechselbaren Künstler. Aus dieser formalen Bemühung – in der unabänderlichen Überzeugung Elsners, daß Wirklichkeit eben Wirklichkeit und ein Bildwerk ein Bildwerk ist und es keine unklaren Gleitstellen geben darf – erklärt sich seine beständige und zutiefst unerfüllte Liebe zum Ungegenständlichen (dem eigentlich „Konkreten“), als einer Darstellungsmöglichkeit von Kräften und Impulsen, die, losgelöst von ihrer Verbundenheit mit der Gestaltwelt der Wirklichkeit, frei in den Raum hineinwirken.
Sein „Triumphales Dreieck“ – Anregung ein Vogelschwarm ! – mag den Beweis führen, für einen gelungenen Exkurs in das andere Reich .
Im gleichen Sinn – vom Thema her schon die Abstraktion fordernd – sein schöner Bronzebrunnen im Innenhof der Stadtsparkasse in Ratingen. Meister Belling hatte das gleiche Thema schon in den zwanziger Jahren in Berlin gestaltet, als rein geometrische Dreifachentsprechung. Bei Elsner denkt man an die fast sakrale Form von Kelchen – übrigens mit einer sehr guten Strukturierung der Flächen.

Zusammenfassend kann man feststellen, daß eigentlich alles Geschaffene – und Erich Elsner ist ein sehr fleißiger Mann – sich als Gestaltung von klassischer Beherrschtheit erweist. Ein Gefühl für archaische Konzentriertheit und die Fähigkeit zur Selbstdisziplin haben ihn vor barockem Überschwang oder falschem Gefühlsüberhang bewahrt.
Skeptisch gegenüber Umwelt und modernistischen Strömungen in den Künsten seiner Zeit, skeptisch aber auch eigener, denkbarer Zügellosigkeit gegenüber und sich im Besitz fühlend des Eichendorffschen Zauberwortes, die „Dinge zum Singen“ zu bringen, hat er Disziplin geübt. Er weiß um die Grenzen, die der Kluge einzuhalten hat und er weiß, daß innerhalb der Gesetze, die er sich auferlegte, noch großer Freiraum wartet, der gefüllt werden muß mit den Träumen, die sich erst innerhalb der Formgesetze zum Blühen entfalten können. Das erscheint eines der vielen Geheimnisse des Künstlerischen.

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